Junge Recherche

Wann wird es zu nah? – Persönliche Grenzen und professionelle Distanz bei der Recherche
14.03.2025 , Kleiner Sendesaal
Sprache: Deutsch

Recherche heißt nah dran sein. Recherche heißt Intimität. Recherche heißt Details. Die Arbeit als Journalistinnen verlangt es von uns, jeden Winkel eines Menschen und seiner Geschichte auszuleuchten. Aber wann sind wir zu nah? Wann überschreiten wir die Grenzen unseres Gegenübers und wann wird es uns selbst zu persönlich, zu distanzlos?
Diesen Fragen wollen wir uns in der Session widmen.
In der Ausbildung und während dem Berufseinstieg bekommen angehende Journalist
innen so viel Handwerk wie möglich beigebracht: Sie lernen, wie sie an Informationen gelangen, wie sie Antworten aus Interviewpartnern herauslocken oder welche persönlichen Details einer Reportage das gewisse Etwas geben. Doch die wichtigste Lektion kommt durchweg zu kurz: der menschliche Umgang mit den Protagonistinnen. Wie stelle ich Nähe zu einem Menschen her, die sich für beide Seiten fair anfühlt? Welche Grenzen muss ich bewusst setzen – und woran merke ich, dass welche überschritten wurden?
Immer wieder schnappen angehende Journalist
innen vermeintlich allgemeingültige Regeln auf, durch sie automatisch professionelle Distanz zu ihren Protagonistinnen wahren: nur siezen, keine Umarmungen, kein privater Kontakt. Doch in der Praxis ist das gar nicht so leicht umzusetzen. Wir werden geduzt, umarmt und außerhalb der Arbeitszeiten angerufen. Wir teilen intime Momente, wühlen durch unsere Fragen Erinnerungen auf. Manchmal sind wir die einzigen, denen unsere Gesprächspartner sich anvertrauen.
Und dann wird schnell klar: 0-8-15-Regeln helfen uns da nicht weiter.
Sich nur auf seine Intuition zu verlassen und unvorbereitet in intensive Begegnungen mit Menschen zu stolpern, die sich uns anvertrauen, wird unserem Beruf nicht gerecht. Nicht nur leiden wir selbst als Journalist
innen und die Qualität unserer Recherchen darunter, sondern auch diejenigen, die wir nach der Veröffentlichung zurücklassen. Wir finden, es braucht mehr Raum, um sich über Arbeitsweisen und Unsicherheiten auszutauschen. Das ist im Sinne unserer eigenen Professionalität, im Sinne der Menschen, deren Geschichten wir öffentlich machen und im Sinne eines nachhaltigen, verantwortungsbewussten Journalismus.
Unser Ziel ist es, dass Ihr euch als Teilnehmerinnen nach dem Workshop sicherer in Eurer Arbeitsweise fühlt. Mit unserer Unterstützung habt Ihr einen Werkzeugkasten zusammengestellt, der Euch dabei hilft, vor, während und nach einer Recherche Nähe und Distanz zu Euren Protagonistinnen auszubalancieren.

Helena Weise schreibt als freie Journalistin Reportagen und Longreads für GEO Magazin, Psychologie Heute, Zeit Online, u.a. Ihre Texte und Radio-Features kreisen um strukturelle Ungleichheit und Widerstand, psychische Gesundheit und Trauma, Flucht und Exil. Sie hat Politik- und Rechtswissenschaften in Bonn und Istanbul studiert und im Anschluss die Reportageschule Reutlingen besucht.